Sehnenschäden – warum der Schein trügt und meine Erfahrungen damit
- Nathalie Schatzmann
- 8. Nov. 2023
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 22. Nov. 2023
Oktober 2022 – von einer Reitbeteiligung zum Besitzer.
Dabei wollte ich eigentlich kein Pferd. Kaum war der Pferdepass umgeschrieben und die ganze Bürokratie erledigt, packte Sa’idah – jetzt mein Pferd – alles aus, was sie (vielleicht) die letzten Jahre gut versteckt hielt.
Ihr Rücken tat weh… ok, diese Baustelle kannte ich bereits seit langem, aber das Anfassen am Hals, der Brust, der Kruppe – also eigentlich überall – fand sie total doof. Auch das Decke anziehen war für sie unangenehm, doch kalt haben noch viel mehr. Dann war noch ein Fuß hinten dick und ein anderer vorne tat offensichtlich weh... Das Pferd war rückständig und deutlich instabil im Karpalgelenk. Wo fängt man denn da an?
Diese Entscheidung habe ich meinem Tierarzt überlassen. Schnell konnte zumindest der Grund für die Lahmheit vorne festgestellt werden: Fesselträgerschaden.
Zwar ein alter Schaden, der bereits vernarbt war, jedoch ist aus irgendeinem Grund wieder eine leichte Entzündung entstanden. Eventuell hat unser Stallwechsel das begünstigt – am ersten Nachmittag im neuen Stall rannte Sa’idah wie eine Verrückte in ihrer neuen Paddockbox ein und aus. Vor Freude? Vor Wut, Schmerzen? Oder war es doch nur die Aufregung? Ich weiß es bis heute noch nicht, aber alles kommt, wie es kommen muss.
Nun standen wir da… Besitzerwechsel, neuer Stall… EIGENTLICH sollte doch ab jetzt alles besser werden? Das Leben hatte wohl andere Pläne mit uns.
Schaut man sich allerdings die Vergangenheit der Araberstute an und beachtet dabei ein paar wichtige Punkte, ist es eigentlich gar keine große Überraschung mehr, dass es zu einem Sehnenschaden gekommen ist.

Wie entsteht ein Sehnenschaden?
Sehnen stellen ein Bindeglied zwischen Muskeln und Knochen dar, welche eine wichtige Rolle in der Kraftübertragung spielen und so Bewegung ermöglichen (Sehnen ermöglichen Bewegung, während Bänder Bewegung einschränken und so stabilisieren). Am häufigsten von Sehnenschäden betroffen sind Streck- und Beugesehnen (Extensor- und Flexorsehnen), sowie der Fesselträger. Beim Fesselträger handelt es sich allerdings nicht um eine rein ligamentäre (Ligament = Band) Struktur, denn er ist mit wenigen Muskelfasern durchsetzt (darum wird er im lateinischen auch als Muskel und nicht als Sehne beschrieben – Musculus interosseus medius).
Sehnenschäden gehören mittlerweile (leider) zu einer der häufigsten Lahmheitsursachen beim Pferd. Die Anzeichen reichen von leichten Schwellungen (Sehnenbogen) und Schonung des Beines, bis hin zu akuten Schmerzen und Lahmheit. Es sind sowohl Pferde im Spitzensport aber auch Freizeitpferde immer öfter davon betroffen.
Wichtig zu wissen ist, dass ein Sehnenschaden nicht von heute auf morgen entsteht. Das soll heißen, nur weil dein Pferd sich vertreten hat, entsteht nicht sofort ein Schaden. Meist ist er die Summe vieler kleiner Schäden, die sich mit der Zeit zu einem großen entwickelt haben (Mikroläsionen – die oft im Training entstehen – kann der Körper selbst reparieren, erst wenn die Läsion zu groß wird, bzw. zu viele Mikroläsionen auf einmal entstehen, funktionert die „Eigenreparatur“ nicht mehr richtig). Das „Vertreten“ ist also nur die Spitze des Eisbergs oder der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Durch falsches bzw. ungeeignetes Training und unpassendes Equipment, unbefriedigende Hufbearbeitung, Verspannungen der Muskulatur (durch Schonhaltungen) etc. können Sehnenschäden begünstigt werden.

Beachte: Beinahe jede zu starke Belastung löst eine Mikroläsion aus, die unsere Tiere im Normalfall „selbst“ reparieren können. Folgt auf eine Mikroläsion jedoch andauernd die nächste (Sehnengewebe regeneriert sich im Gegensatz zu Muskelgewebe erst nach ca 72h – Muskelgewebe in 48h), wird das Gewebe bald größeren Schaden nehmen. Wird zusätzlich noch mit Gamaschen „gewärmt“ entstehen leichter Fibrosen, welche das Gewebe in seiner Geschmeidigkeit und Beweglichkeit einschränken. Pausentage sind also wichtig und richtig, damit nichts überlastet wird, allerdings muss Pause nicht „in der Box rumstehen“ bedeuten.
Die 3 Phasen
Ein Sehnenschaden, kann in 3 Phasen gegliedert werden: Die akute Phase, direkt nach dem Schaden in den ersten 7 bis 14 Tagen. Hier gilt die Hemmung der Entzündung (durch Entzündungshemmer vom Tierarzt) und Entlastung der Fasern (z.B. mit Kältetherapie um zu verhindern, dass das Gewebe mehr anschwillt und die Entzündung sich ausdehnt) als oberste Priorität. Durch die Entzündungsprodukte können die Fasern geschädigt werden – die Schwellung zieht die Fasern quasi auseinander, dadurch nehmen diese immer noch mehr Schaden. Auch wenn Pferde Bewegungstiere sind und unter zu wenig Bewegung leiden, ist Boxenruhe ist in dieser Phase (!) nicht immer die falsche Entscheidung.
In der zweiten Phase trügt der Schein (ca. 4 – 8 Wochen nach der akuten Phase): der Körper hat Narbengewebe gebildet und der Schaden scheint verheilt. Wird aber jetzt zu schnell wieder belastet nimmt die Sehne wieder Schaden – Narbengewebe ist nicht sehr elastisch und muss erst „umgebaut“ werden. Hier spielt die Physiotherapie eine wichtige Rolle: durch richtige Behandlung kann die Durchblutung gefördert, der Stoffwechsel angeregt und das Zellwachstum gesteigert werden – Abfallstoffe können so besser abtransportiert werden und der Heilungsprozess wird angekurbelt.
In der letzten Phase wird das Narbengewebe in elastischeres Gewebe umgebaut (dies kann, je nach Schaden, 1 aber auch bis zu 2 Jahre in Anspruch nehmen!). Man kann sich das in etwa so vorstellen: gesunde Sehnenfasern sind parallel angeordnet, erleidet die Sehne einen Schaden, versucht der Körper diesen schnellstmöglich zu beheben (Phase 1), Fasern werden „kreuz und quer“ angeordnet um das „Loch zu stopfen“, der Schaden schein verheilt (Phase 2), erst durch den Faktor Zeit und angepasste Rehabilitation wird das alte Gewebe durch neues ersetzt und auch wieder richtig (parallel) angeordnet (Phase 3) und voll belastbar. Strikte Boxenruhe und zu lange Stehzeiten werden diesen Prozess leider nicht unterstützen, denn das Gewebe muss einen Reiz erfahren, um sich entsprechend anzupassen und neu anzuordnen. Ein angepasstes Training bzw. angepasste Bewegung trägt also einen wichtigen Beitrag zum Heilungsverlauf bei!
Egal in welche Phase man einen Schaden einordnet, es gilt immer Fokus auf die richtige Behandlung zu setzen. Am Tierarzt kommt man meist nicht vorbei – durch einen Ultraschall kann der Schweregrad, die Lokalisation sowie der Heilungsverlauf des Schadens festgestellt werden. Außerdem ist die Eindämmung der Entzündung im Gewebe von höchster Priorität um Fibrosierungen (Vernarbungen) zu vermeiden und den Schaden so gering wie möglich zu halten. Hierbei helfen, wie bereits erwähnt, Entzündungshemmer und Kälte. Als physiotherapeutische Maßnahmen können z.B. Blutegel, manuelle Lymphdrainage, Elektrotherapie, Thermotherapie, Kompressionsbandagen oder Massagen helfen. Auch hier gilt: die Physiotherapie kann die Heilung unterstützen aber niemals den Tierarzt ersetzen!

Narben – Freund und Feind
Vernarbungen, stellen eine Reparaturfunktion des Körpers dar – eine Fibrosierung von Gewebe kann mit einer Vernarbung verglichen werden: Bindegewebe vermehrt sich krankhaft und ersetzt das gesunde Gewebe, welches seine Funktionsfähigkeit verliert. (Um geschädigtes Gewebe schnellstmöglich zu reparieren, werden Entzündungszellen freigegeben und Narbengewebe gebildet - z.B. nach einer Verletzung, Entzündung oder Überbelastung, bildet der Körper vermehrt Kollagen und lagert dieses ab, um verletztes Gewebe zu reparieren.) Fibrosierungen können aber auch durch Proteine – wenn sie im Bindegewebe verbleiben und nicht abtransportiert werden – ausgelöst werden. Hier kommt die manuelle Lymphdrainage (MLD) ins Spiel: der Lymphfluss wird angeregt, Durchblutung wird gefördert, Abfallstoffe können abtransportiert werden. Zu den wichtigsten lymphpflichtigen Lasten (Stoffe, die aus Bindegewebe oder Blut in Lymphsystem gelangen) zählen Plasmaproteine, Hyaluronsäure und Fette. Hyaluronsäure besitzt die Eigenschaft, Wasser stark zu binden und reguliert die Bewegung von Zellen (= Beine schwellen an, der Lymphfluss wird eingeschränkt, Reparaturprozesse können nur mehr eingeschränkt stattfinden). Man kann sich also vorstellen – was passiert, wenn der Lymphfluss nicht mehr richtig funktioniert und warum dies Schäden anrichten kann.

Werden Verklebungen und Stauungen nicht aufgelöst, sitzt durchgehend eine „Bremse“ im Gewebe, denn Narbengewebe stellt immer ein Störfeld im Körper dar (Faszien, Muskulatur, etc. können von Narben beeinflusst werden). Je nachdem wie groß die Narbe ist, kommt der Körper mehr oder weniger gut damit zurecht. Wenn es auf Dauer immer mehr hackt, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass der Schaden wieder aufflammt oder ein neuer entsteht. In einigen Fällen, kann das betroffene Gewebe so beeinträchtigt werden, dass keine normale Funktion mehr möglich ist, was wiederum andere Strukturen überlastet. Wichtig ist es deshalb bei Sehnenschäden nicht nur therapeutische Maßnahmen zu ergreifen und in weiterer Folge auf angemessenes Training zu achten, sondern auch entstandene Verklebungen (mit z.B. Blutegel, oder verschiedenen Faszientechniken) aufzulösen.
Ein Teufelskreis
Hat eine Sehne Schaden genommen können dadurch auch andere Strukturen in Mitleidenschaft gezogen werden:
Arthrose und andere Gelenkprobleme werden begünstigt, da die Sehnen nicht richtig arbeiten, bzw. der Bereich geschont wird
Bänder können überbelastet werden, da die Sehnen geschwächt sind (steht dein Pferd öfter Vorbiegig (im Karpalgelenk) oder Rückständig (in der Vordergliedmaße), ist dies ein klares Warnsignal – Vorbiegigkeit entsteht durch Entlastung, Rückständigkeit durch Überlastung bzw. Dysbalance
Durch unzureichende Unterstützung im Hufbereich kann die Hufstellung negativ beeinflusst werden
Um fehlende Stabilität zu kompensieren, wird umliegende Muskulatur beeinflusst und kann durch Überbelastung verspannen, hierzu zählen z.B. Strecker und Beuger der Vorderbeine (M. flexor carpi radialis & ulnaris, M. extensor carpi radialis & obliquus), Muskulatur im Schulterbereich (M. deltoideus & M. infraspinatus), Rückenmuskulatur (M. trapezius, M. latissimus dorsi) und Muskulatur in der Hinterhand, diese wird durch Schonhaltungen und veränderte Gangarten ebenfalls beeinflusst. Es ist also durchaus ratsam, bei Sehnenschäden, den Rücken deines Pferdes behandeln zu lassen.
Die tiefe Beugesehne ist direkt mit dem Hufrollenmechanismus verbunden – Sehnenprobleme können sich ebenfalls auf diese Struktur auswirken

Gamaschen und ihre Tücken
„Mein Pferd hat oder hatte einen Sehnenschaden, darum trainiere ich nur noch mit Gamaschen, um das Gewebe zu schützen und stützen.“ Doch ist das wirklich sinnvoll?
Gamaschen haben sehr wohl ihre Daseins-Berechtigung, und tragen auch zum Schutz des Pferdebeines, z.B. auf Turnieren oder Parcours, bei. Jedoch sollte man sich immer Gedanken darüber machen, warum man sie aufs Pferd packt. Müssen es wirklich immer Gamaschen sein, beim Training in der Halle, am Platz oder für gemütliche Runden durch den Wald oder könnte man hier auch mal getrost darauf verzichten? (Sollten Gamaschen als Schutz vor sich selbst dienen – also dass sich das Pferd selbst nicht verletzt – ist die Frage, warum weiß mein Pferd nicht wohin mit seinen Beinen? Könnte es am Trainingszustand liegen???)
Unter Gamaschen entsteht unweigerlich Wärme. Durch den Kontakt von Pferdebein und Gamaschen in Kombination mit Bewegung wird das darunterliegende Gewebe erwärmt, egal wie luftdurchlässig diese sind. Sehnenfasern bestehen zum Teil aus Kollagen, welches ein proteinbasiertes Gewebe darstellt. Proteinbasiertes Gewebe, also eben z.B. eine Sehne, reagiert empfindlich auf zu hohe Temperaturen. Warum? Einfach gesagt: Protein = Eiweiß; was passiert mit Eiweiß, wenn man es erhitzt? Klar, übertrieben dargestellt, aber bringt die Sache auf den Punkt.
Auf Dauer kann zu viel Wärme dem Pferdebein also schaden. Doch wieso ist Wärme schädlich? Natürlich hat Wärme viele positive Eigenschaften in der Therapie – sie kann z.B. Verspannungen lösen, die Durchblutung anregen usw. Doch hierbei geht es an das „zu viel und zu lang“ an Wärme. Durch zu hohe Temperaturen können Eiweiße, einschließlich Eiweiße in den Sehnen, denaturieren (=strukturelle Veränderung). Dies kann die Funktion beeinträchtigen, in dem sie Belastungen und Spannungen nicht mehr so gut standhalten können. Außerdem können Zellen durch Hitze beschädigt werden, was die Regeneration der Sehnenfasern erschwert.
Dies verdeutlich, dass gerade in der ersten Phase eines Sehnenschadens, Wärme so gut es geht minimiert werden sollte, wobei in einem späteren Stadium ebendiese Wärme förderlich für die Heilung sein kann (z.B. Thermotherapie aber auch Laser oder Elektrotherapie). Auch die Daueranlage von Gamaschen/Bandagen sollte eher kritisch betrachtet werden und ist von Fall zu Fall abzuwägen.